Interview mit dem Korruptionsexperten Wolfgang Lindner
Das nachfolgende Interview führte Herr RA Björn Rohde-Liebenau, Ombudsmann, Mediator, RCC Risk Communication Concept
Veröffentlicht wurde dies am 19.01.2016 auf XING im Forum CompRiskSec
https://www.xing.com/communities/posts/compliance-risk-security-1010739480
Das insgesamt zweite in einer Reihe von Interview, die wir mit Gruppenmitgliedern führen – um besser in der Gruppen ins Gespräch zu kommen. Heute mit Wolfgang Linder, 1. Kriminalhauptkommissar a.D. des LKA Niedersachsen,
1. Herr Lindner, wo sehen Sie die größten Herausforderungen in den nächsten 10 Jahren bzw. soweit es Ihnen möglich ist, in die Zukunft zu denken ?
A: Solange Menschen das Business bestimmen, sind die größten Herausforderungen in den nächsten 2, 10 oder 100 Jahren gleich und kaum wirklich änderbar. Die Risiken liegen in der Natur des Menschen; der Mensch hat grundsätzlich eine Nehmernatur – er nimmt, was er bekommen kann. Egal in welcher Position, egal ob wirtschaftlich notwendig oder nicht. Das Beispiel Volkswagen zeigt, dass ein Konzern, der schließlich von Menschen regiert wird, die Vorteile für sich einstreicht – auch illegale – die er bekommen kann. Und wenn eine Schummelsoftware den Profit des Unternehmens steigern kann, dann wird diese eingesetzt – letztlich auch im Sinne der Belegschaft, die dadurch höhere Jahresvergütungen erhält.
Verbrauchertäuschung, egal in welchem Bereich, ist immer noch an der Tagesordnung – und alles zur Steigerung des des Profits.
Grundsätzlich wird sich also auch in Hundert oder tausend Jahren nicht viel ändern. Korruption beispielweise war schon vor 4000 Jahren unter Strafe gestellt, hat sich bis heute etwas Grundlegendes geändert?
Hier gilt es, die Verantwortlichen in Unternehmen, Behörden oder Institutionen langfristig zu einem anderen, nicht auf Täuschung und vermeintlichem Profitgedanken ausgerichteten Bewusstsein zu bringen. Dabei sind die Vorteile sauberer Geschäfte doch evident! Die betriebswirtschaftlichen Kosten illegalen Verhaltens sind immens, nicht nur bei Volkswagen, sondern bei allen Unternehmen, die in den Focus staatsanwaltschaftlicher oder sonstiger behördlicher Ermittlungen geraten. Das es auch ohne Korruption (oder sonstige illegale Handlungen) geht, zeigt das Beispiel Siemens: Peter Löscher, ehemaliger Siemens Vorstand, hatte 2010 erklärt: „Man kann in jedem Land Geschäfte machen. Aber man sucht sich jene ‚Kunden und Projekte aus, die man haben will. Siemens hat in der kurzen Zeit seit 2007 das größte Wachstum und den höchsten Auftragsbestand der Unternehmensgeschichte“ (Zeit-Online 23.09.2010). Und der ehemalige Monitor bei Siemens, Theo Waigel, sagte gegenüber den Medien: „Ethik und Moral in der internationalen Konkurenz ist kein Hindernis, sondern vielmehr ein Wettbewerbsvorteil „(Süddeutsche.de 07.11.2010)
Dass es ohne dolose Handlungen geht, habe ich in meiner kriminalpolizeilichen Tätigkeit immer wieder erfahren. Es haben sich beispielsweise auch über das anonyme Hinweisgebersystem des LKA Niedersachsen angezeigte Unternehmer gemeldet und letztlich ihre Dankbarkeit zum Ausdruck gebracht, das nun, nach Bekanntwerden der Straftaten ein enormer seelischer Druck von ihnen gefallen sei.
2. Welche Antworten kann Compliance, Risk und/oder Security darauf geben ? Wie möchten Sie dabei Ihren Beitrag sehen ?
A: Compliance kann nur auf die Risiken aufmerksam machen, die mit Korruption, Wirtschaftskriminalität und jedwedem Fehlverhalten in Unternehmen einhergeht. Die Risiken beschreiben, Schwachstellen aufdecken und Konsequenzen aufzeigen ist vordringlichste Aufgabe der Compliance. Kein Feigenblatt für die Unternehmensleitung darf Compliance sein sondern ein verinnerlichter und (vor)gelebter Prozess des Vorstandes, des Managements und aller leitenden Mitarbeiter. Nur so könnten Risiken vermindert werden.
Als ehemaliger Strafverfolger und Kriminalist mit missionarisch durchgeführter präventiver Korruptionsbekämpfung kann für mich die Aufgabe nur darin gesehen werden, Aufklärungsarbeit, also Prävention im weitesten Sinne zu betreiben, um auf die fatalen Folgen von dolosem wirtschaftlichen Handeln aufzuzeigen. Dass dies funktionieren kann, zeigt das Beispiel Siemens. Wie wir alle wissen, waren die wirtschaftlichen Schäden und der Imageverlust für Siemens exorbitant. Aber soweit wie seinerzeit bei Siemens muss es ja nicht erst kommen. Die Folgen für Volkswagen indes könnten noch weitaus schlimmer werden, mit fatalen Nachwehen für die gesamte deutsche Wirtschaft – Verantwortung hierfür dürften einzelne Mitarbeiter und Verantwortliche wenn nicht gar die Konzernspitze tragen.
Hier muss Compliance ansetzen, um auf die verheerenden Folgen unkorrekter Geschäftspraktiken hinzweisen.
3. Was fehlt heute am dringendsten ? Wenn Sie zaubern könnten – was würden Sie dafür herbeizaubern ?
A: Eigentum verpflichtet, auch Unternehmereigentum! Diese Pflicht wird kaum wahrgenommen, wie ich bereits geschildert habe. Egoismus, Profit und wirtschaftliches Wachstum stehen an erster Stelle wirtschaftlichen Handelns, egal mit welchen Mitteln. Und da liegt der Hase im Pfeffer! Die Ziele der Wirtschaft sind nachvollziehbar und in unserer Gesellschaft auch akzeptiert. Nur die Wahl der Mittel ist in vielen Fällen nicht akzeptabel. Und da beginnt dann schnell die Strafbarkeit, die Unvereinbarkeit zwischen Ziel und Mittel.
Die Einsicht, saubere, gesetzeskonforme Geschäfte machen zu können und trotzdem Erfolg zu haben, ist leider in den Unternehmen noch nicht angekommen. Dies wäre ein Zauberwunsch, der wir wissen, nicht realisierbar ist, zumindest nicht kurzfristig.
4. Wo die meisten Menschen nicht zaubern können, auf welche vorhandenen Ressourcen sollten wir angesichts der genannten Herausforderungen zunächst zurückgreifen und wie ?
A: Prävention, Prävention, Prävention
Über 40 Jahre im Polizeidienst, davon 35 Jahre im Bereich der Bekämpfung von Wirtschaftskriminalität und Korruption, haben mich davon überzeugt, nur durch präventive Schulungen, Beratungen und Sensibilisierungen die Einsicht auf saubere und gesetzeskonforme Geschäfte zu beschleunigen – oder aber durch massive strafrechtliche Ermittlungsverfahren. Dies wünscht sich aber wohl kein Unternehmen.
5. Was wäre Ihr dringendster Tipp für einen Unternehmensverantwortlichen heute ?
A: Wenn ein Unternehmen nicht in den Fokus staatsanwaltschaftlicher und polizeilicher Ermittlungen geraten will, muss es sich mit den Themen Prävention und Compliance im eigenen Unternehmen auseinandersetzen. Erkennen, aufdecken und Investigation im Unternehmen sind grundlegende Voraussetzungen. Das Erkennen kann in der Regel nur durch interne Mitarbeiter, Whistleblower, erfolgen. Hier liegen wichtige Potentiale für das Management. Wie bekommt ein Unternehmer, wenn er nicht selber involviert ist, Hinweise auf dolose Handlungen? Nur durch interne Mitarbeiter, die sich mit ihren Kenntnissen an die Geschäftsführung wenden wollen. Und diese Whistleblower wollen in aller Regel anonym bleiben, verständlicherweise.
Unternehmer, die es wirklich Ernst mit Compliance meinen, sollten sich möglichst schnell Gedanken über Meldewege für Hinweisgeber machen. Aus meiner polizeilichen Erfahrung kann ich sagen, dass viele Hinweisgeber nur warten, bis sie für sich eine Möglichkeit gefunden haben, ihre Hinweise anonym und damit gefahrlos für sich selber abgeben zu können.
6. Wie können aus Ihrer Sicht Management und Mitarbeiter zusammen reaktionsfähiger werden ?
A: Kommunikation ist wesentlich für die Reaktionsfähigkeit zwischen Management und Mitarbeiter. Diese kann über einen Ombudsmann erfolgen, über eine Hotline, einen e-mail Account oder aber auch über eine webbasierte Internetplattform, wie z.B. dem BKMS System. Dieses anonyme Meldesystem habe ich als verantwortlicher Dezernatsleiter im LKA Niedersachsen am 30.10.2003 eingeführt. Damit war das LKA Niedersachsen das erste Unternehmen weltweit, dass diese anonyme Meldeplattform mit Kommunikationsmöglichkeit eingeführt hat.
Massive Kritik einzelner Interessenvertreter oder einiger Medien haben uns nicht zurückgeschreckt. Das System läuft auch heute noch sehr erfolgreich – nach fast 13 Jahren. Und mittlerweile nicht nur im LKA Niedersachsen. Mittlerweile haben zahlreiche große deutsche und international tätige Konzerne dieses Hinweisgebersystem übernommen, um die Whistleblower im eigenen Hause zu ermutigen, ihre Hinweise auf unkorrektes Verhalten an die Geschäftsführung zu melden. Das macht mir schon Mut, dass in der Wirtschaft langsam die Einsicht wächst, sich doch für Compliance und die Einhaltung von moralischen und gesetzlichen Regeln einzusetzen.
7. Was würden Sie einem Berufsanfänger raten ?
A: Wie heißt es so schön: Ehrlich währt am Längsten!
Offen, ehrlich und geradlinig durch das Leben gehen, erkannte Missstände aufzeigen und nicht verschweigen oder wegsehen. Das ist meine Erfahrung nach über 40 Jahren im Polizeidienst.
8. Was haben Sie in den letzten 10 Jahren erreicht – wer/was hat Sie dabei am meisten unterstützt ?
A: Aufbau eines erfolgreichen Ermittlungsdezernats im LKA Niedersachsen mit über 20 Mitarbeitern zur Bekämpfung von Korruption in Verwaltungen, Behörden, Unternehmen und in der Politik.
Unterstützung erhalten habe ich von Vorgesetzten, Behördenleitung und Ministerium. Auch wenn es darum ging, gegen einflussreichste deutsche oder internationale Unternehmen oder höchste politische Repräsentanzen strafrechtliche Ermittlungen zu leiten! Es gab nie irgendeine Einflussnahme von Seiten der Politik aus dem Innenressort!
Vielen Dank für das interessante Interview, Herr Lindner.
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Wolfgang Lindner – Compliance Beratung – Lindner-Compliance